Sonntag, 23. November 2014

Schöne Momente einer rasenden Reporterin: Spitzenkabarett mit Thomas Freitag in der Zehntscheuer Amorbach

Trifft genau den Punkt: Thomas Freitag als kaltwütiger Herr Schüttlöffel.
Es gibt Momente im Leben einer rasenden Reporterin, wo sie keinen anderen Beruf der Welt ausüben möchte. Am Freitagabend hatte ich so einen Moment. Kulturtermine sind eigentlich immer schön, weil ich schöne Musik, einen unterhaltsamen Theaterabend oder amüsantes Kabarett genießen kann und mir das Schreiben der Rezensionen leicht von der Hand geht, wenn mir das Programm gefallen hat. Verrisse muss ich eigentlich selten schreiben, außerdem muss man nicht mit dem Holzhammer vorgehen, wenn eine Vorstellung oder ein Konzert nicht ganz so gut war. Oft werden solche Abende ja von Laien veranstaltet, die sich angestrengt und viel Freizeit geopfert haben, um ihren Auftritt vorzubereiten. Am Freitagabend allerdings gab es nichts zu bemängeln. Im Gegenteil. Mit Thomas Freitag in der Amorbacher Zehntscheuer wurde mir ein Abend mit  Spaßfaktor auf besonders hohem Niveau geboten. Vielen Dank, liebe Main-Echo-Kulturredaktion, dass ich diesen Termin übernehmen durfte! Für die Leser meines Blogs die Rezension vorab:

„Was uns ausmacht ist der Geist und nicht der Körper“ philosophiert Siggi von der Frittenbude im rheinischen Dialekt und ereifert sich über Köperkult und Schlankheitswahn. Er ist eine der Figuren, in die der Kabarettist Thomas Freitag schlüpft, um in einem Parforceritt durch Geschichte, Literatur, Gesellschaft und Politik dem Zuschauer deutlich zu machen, dass sich die Evolution rückwärts bewegt und die Menschen sich selbst zum Affen machen.

Eine Rückwärtsbewegung der Evolution: Der Mensch macht sich zum Affen.
In der Amorbacher Zehntscheuer begeisterte der zur Kleinkunst-Ikone gereifte 64-jährige Künstler in „Der kaltwütige Herr Schüttlöffel“ mit einem bis ins letzte Detail schlüssigen, hoch intelligenten, politischen und witzigen Programm, von dem sich so manche auf der Mattscheibe herumtollenden Möchtegern-Kabarettisten eine dicke Scheibe abschneiden können. Messerscharf sind seine Analysen, die in Pointen wie „Der Löwe verhandelt mit der Antilope nicht über Mindestlohn, er frisst sie“ oder „früher hatten die Menschen Berufe – heute steckt man sie in Projekte“ münden, wenn er über die Arbeitswelt nachdenkt.

Siggi von der Frittenbude sinniert über Körperkult und Schlankheitswahn.
Die Geschichte des Bibliothekars Schüttlöffel, der sich gegen die Schließung seiner Bibliothek wehrt, ist Kabarett und Theater zugleich. Das wird durch die schauspielerische Leistung von Freitag unterstrichen, die aber nie in Klamauk abrutscht, sondern die bestechende Authentizität eines modernen Don Quichotte widerspiegelt, der sich gegen von Bürokratie und Zeitgeist angetriebene Windmühlenflügel wehrt. „Die Revolution fällt aus“, lässt er Karl Marx sagen,  der sich drei Paar Socken für 3,20 Euro gekauft hat und sinniert, dass man sie für diesen Preis eigentlich gar nicht herstellen kann. „Meine Ideen sind super, aber sie hauen nicht hin“, stellt er fest und erkennt, dass der Mensch und seine Gier das eigentliche Problem sind.

Was Karl Marx zu sagen hat: "Meine Ideen sind super, aber sie hauen nicht hin."
Wunderbar sind die Wortverdrehungen, wenn Thomas Freitag in die Rolle eines Verlegers schlüpft und ihn überlegen lässt, wie er Schillers Räuber und die die Geschichte von Karl Moor in einen Bestseller der Gegenwart verpacken könnte. So wird der Schillersche Protagonist zur schwedischen Profilerin Karla Moor mit Intimpiercing, die gegen einen Serienkiller mit Fistelstimme kämpft. Fistelstimme deshalb, weil  der Roman dann auch noch als Hörbuch mit Til Schweiger als Sprecher vermarktet werden kann.


Chapeau, Thomas Freitag! Das hat richtig Spaß gemacht! Politisches Kabarett auf diesem hohen Niveau gibt es nicht alle Tage und schon gar nicht überall!

© Ruth Weitz (Text und Fotos)

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