Sonntag, 4. Februar 2018

Bin ich scheinselbstständig oder freischaffend für einen Hauptauftraggeber?

Ein proppenvoller Vortragssaal bei con.tax in Großwallstadt, als es um das Thema »Scheinselbstständigkeit« ging, veranstaltet vom BVMW-Kreisverband Aschaffenburg-Miltenberg.

Als Freiberuflerin ohne Angestellte saust mir oft die Frage durch den Kopf, ob ich scheinselbstständig bin - weil überwiegend für die Tageszeitung tätig. Der Verlag Medienhaus Main-Echo ist mein Hautauftraggeber. Ich bin sozusagen freie hauptamtliche Mitarbeiterin.  Da ich aber auch noch Sachtexte für Agenturen zur Veröffentlichung im Internet schreibe, einige Blogs - wie den hier der »rasenden Reporterin« - betreibe und außerdem als Publizistin in der Künstlersozialkasse versichert bin, bin ich wohl auf der sicheren Seite. Der Bundsverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW), Kreisverband Aschaffenburg-Miltenberg mit Geschäftsleiterin Beatrice Brenner an der Spitze, hat einen Info-Abend zum Thema »Scheinselbstständigkeit« beim Unternehmen con.tax in Großwallstadt organisiert. Eine eindeutige Ansage gab es nicht. Letztlich muss bei einer juristischen Auseinandersetzung im Einzelfall entschieden werden, gerade wenn es um die (Nach-)Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen geht.

Hier eine Zusammenfassung des Abends am 1. Februar 2018

Die Expertenrunde von links Gerhard Roth von der Deutschen Rentenversicherung und die Fachanwälte Mike Kramer und Jörg Döhrer. Foto: bvmw


Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und Scheinselbstständigkeit


Seit der Gesetznovellierung des Arbeitnehmberüberlassungsgesetzes (kurz AÜG) ist auch die so genannte »Scheinselbständigkeit« wieder in den Fokus gerückt. Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, fand am Donnerstag vergangener Woche die Veranstaltung des BVMW (Bundesverband mittelständische Wirtschaft) »Fragen zur Scheinselbständigkeit« in den Räumen von Con.Tax in Großwallstadt statt.

Wie sich schon bei der Veranstaltung des BVMW im Juli 2017 zum Thema »Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und Werkverträge« herauskristallisiert hatte, bestehen noch sehr viele Fragen zur Scheinselbstständigkeit. Deshalb wurde die Information darüber noch einmal herausgegriffen und in eine Expertenrunde bearbeitet.

(Fast) Nichts ist, wie es scheint


Das Podium war hochkarätig besetzt. Neben den beiden Anwälten Jörg Döhrer (Rittershaus Rechtsanwälte Partnergesellschaft mbH) und Mike Kramer (Kanzlei Wimber, Kramer und Partner) hatte Beatrice Brenner (Leiterin des BVMW-Kreisverbandes Aschaffenburg-Miltenberg) auch Gerhard Roth von der Rentenversicherung eingeladen. Die Moderation übernahm Marco Feyh, einer der Geschäftsführer von con.tax. Wie groß das Interesse an diesem komplexen Thema ist, zeigte allein schon die Anzahl der Gäste. Die Veranstaltung war mit mehr als 50 Teilnehmern ausgebucht.

In seiner Eingangsmoderation wies Feyh auf die fatalen Folgen hin, die selbst die »versehentliche« Beschäftigung eines Scheinselbständigen haben kann. Tatsächlich ist es so, dass der Auftraggeber bis zu vier Jahre rückwirkend die Sozialversicherung bezahlen muss. Mike Kramer bestätigte dies und ergänzte, dass sich der Auftraggeber das Geld nicht einfach von seinem Freiberufler zurückholen kann, maximal drei Monate sind möglich.

In der Regel wird über den Einzelfall entschieden


Jörg Döhrer betonte, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handelt, wie eine vermeintliche Scheinselbstständigkeit behandelt wird. Eine Tatsache, die Gerhard Roth von der Rentenversicherung bejahte. Seine Behörde treffe tatsächlich viele Entscheidungen, abhängig vom Einzelfall »aus dem Bauch heraus«. Er traf die Aussage: »Man muss die Kirche schon im Dorf lassen.« Der Rentenversicherung gehe es in erster Linie darum, Menschen zu schützen, die aufgrund einer eventuell erzwungenen Scheinselbständigkeit gerade am Existenzminimum leben. Denn es gebe durchaus Auftraggeber, die sich durch den Einsatz von Scheinselbständigen nicht nur die Sozialversicherungsbeiträge sparen wollten, sondern auch Urlaubstage und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Roth stellte klar: Wird so ein Arbeitgeber erwischt und ist dann auch noch der Zoll beteiligt, droht in den meisten Fällen sogar noch ein Strafverfahren. 

Moderator Marco Feyh.


BVMW-Geschäftstellenleiterin Beatrice Brenner.


Bestünden immer noch Unsicherheiten, ob eine Scheinselbständigkeit vorgliegt, könne ein so genanntes Clearingverfahren Klarheit bringen. Dies müsse direkt bei der Deutschen Rentenversicherung beantragt werden. Der Nachteil sei allerdings, dass diese Verfahren in der Regel recht lange dauerten.

Das Resümee der Veranstaltung: Hat der Auftragnehmer Angestellte oder ist Inhaber einer GmbH, dann ist auch der Auftraggeber auf der sicheren Seite. Übereinstimmend wurde festgestellt, das Thema Scheinselbstständigkeit ist äußerst komplex und wird Unternehmer noch einige Jahre in Atem halten.


Folgende Anhaltspunkte deuten darauf hin, dass eine Scheinselbständigkeit vorliegt:

  • Der Freiberufler oder Gewerbetreibende ist seinem Aufraggeber gegenüber weisungsgebunden.
  • Es wird hauptsächlich oder ausschließlich für einen Auftraggeber gearbeitet.
  •  Es kann keine Entscheidung über Arbeitszeit oder den Arbeitsort durch den Auftragnehmer gefällt werden.
  • Die Tätigkeit wurde vorher beim Auftragnehmer in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt.
  • Die Tätigkeit wird auch von fest angestellten Mitarbeitern ausgeübt. 
  • Die (geringe) Höhe des Honorars deutet auf eine Scheinselbstständigkeit hin.

Zum Bundesverband Mittelständische Wirtschaft, BVMW Kreisverband Aschaffenburg-Miltenberg
Vielen Dank dem BVM für die Fotos und für die Inhalte der Veranstaltung von  Office and more, die mir zur Verfügung gestellt wurden!


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