Am 8. März 2017 wird der Weltfrauentag oder auch Internationaler Frauentag zum 106. Mal gefeiert. Die Frage stellt sich, was wurde erreicht, was gilt es noch anzupacken und muss dieser Tag weiterhin international begangen werden, um die Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen? - Oder ist er bereits überflüssig geworden? Bildquelle: pixabay.com |
Morgen, am Mittwoch, 8. März, ist Weltfrauentag, der auch Internationaler Frauentag genannt wird. Zum ersten Mal wurde er im Jahr 1911 begangen, als die Rechte der Frauen noch in den Kinderschuhen steckten. Es wurde seitdem viel erreicht, aber noch lange keine echte Gleichstellung erzielt. Es gibt sogar Tendenzen, das Rad wieder zurückzudrehen. Hierzu habe ich ein Interviews mit der Präsidentin des Bayerischen Landesfrauenrats, Hildegund Rüger, geführt, das zur Veröffentlichung im Main-Echo aus technischen Gründen gekürzt werden musste. Die wichtigsten Passagen sind zwar enthalten, aber für Interessierte ist es sicher wichtig, den kompletten Inhalt zu lesen. Hildegund Rüger ist vielen am bayerischen Untermain noch bekannt, unter anderem als Schulleiterin der Josef-Anton-Rohe-Schule in Kleinwallstadt oder als BLLV-Vizepräsidentin.
Seit 1911, dem ersten in Deutschland veranstalteten Frauentag, hat sich vieles zum Positiven für Frauen geändert. Wo liegen Ihrer Meinung nach heute die Schwerpunkte in der Benachteiligung von Frauen?
Hildegund Rüger: Die Studie „Was junge Frauen wollen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2016 brachte es zu Tage! Nur zehn Prozent der Frauen im Alter bis 40 Jahren sind der Meinung, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland voll und ganz realisiert ist – und auch nur 15 Prozent der Männer vertreten diese Auffassung. Insofern sind sich Frauen und Männer darüber einig, dass die tatsächliche Gleichstellung noch nicht Realität ist. Frauen und Männer der jungen Generation begreifen Gleichstellung nicht als Kampf gegeneinander, sondern als eine gemeinsame „Baustelle“. Diese Sichtweise der Frauen und Männer heute bedeutet, dass Gleichstellungsdefizite den Zusammenhalt gefährden und dass Ungleichstellung befördernde Fehlanreize und Rahmenbedingungen gesellschaftliche Bruchstellen verursachen. Bei Frauen der jüngeren Generationen aller Schichten sind unter anderem folgende familien- und gleichstellungspolitische Themen angekommen und bestimmen ihren Blick auf ihre eigene Lebenslage, auf die Gesellschaft und ihre Forderungen an die Politik:
» Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist groß, ungerecht und muss unbedingt und rasch beseitigt werden.
» In einer Partnerschaft und nach der Familiengründung praktizieren junge Frauen traditionelle Geschlechterrollen. Obwohl sie dies eigentlich nicht wollen, ist es heute aus
finanziellen Gründen sinnvoll und vernünftig, so zu handeln.
» Es gibt zu wenige Frauen in Führungspositionen! Die Mehrheit der jungen Frauen ist überzeugt, dass sich ohne gesetzliche Maßnahmen und Druck (Sanktionen) wenig tun wird.
» Frauen in der Mitte der Gesellschaft verlangen von der Politik und wünschen sich von ihrem Arbeitgeber eine individuelle Flexibilität von Arbeitszeit, täglichem Arbeitspensum und Arbeitsort: Das Ergebnis muss stimmen.
» Bei jungen Frauen mit relativ hohem Einkommen ist die Frage ihrer späteren Rente sehr präsent. Insofern wollen sie auf ihre Erwerbstätigkeit nicht verzichten. Hingegen denken Frauen mit geringerem Einkommen weniger über ihre Rente nach. Dafür gibt es einen triftigen Grund: Sie sind aktuell so sehr mit der Finanzierung ihres wöchentlichen und monatlichen Lebensunterhalts beschäftigt, dass sie sich keine Gedanken machen
können, was später kommt.
Auf die Stimme dieser Frauen gilt es nun zu hören und effektiv an die Arbeit zu gehen. Diese „Baustellen“ dürfen nicht die Dimensionen wie die des Berliner Flughafens
annehmen.
Teilen Sie die Meinung vieler Frauenrechtlerinnen, dass ein Rückschritt in der Gleichstellungspolitik, ein so genannter Backlash, zu beobachten ist?
Hildegund Rüger: Ja, es gibt Rückschläge zu verzeichnen, da ein Generationswechsel stattgefunden hat. Feminismus hat unter der jungen Generation einen schlechten Ruf, gilt als hausbacken und „uncool“. Andererseits sehen viele junge Frauen eine Gleichberechtigung der Geschlechter noch keineswegs verwirklicht, wie uns die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aufzeigt. Die jungen Feministinnen arbeiten vor allem mit dem Internet und somit zielorientiert. Der Aktionismus findet also nicht mehr auf der Straße statt, ist nicht mehr laut und plakativ – ich denke an die Aktion „Mein Bauch gehört mir“ –, sondern von einer gewissen Subtilität und Fachkenntnis geprägt.
Der Bayerische Landesfrauenrat beteiligt sich an dem Aktionsbündnis »Parité in den Parlamenten«, das Ende November 2016 eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht hat. Was ist der Hintergrund?
Hildegund Rüger: In den Parlamenten sind wir Frauen nicht gleichberechtigt vertreten. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Hälfte der Bevölkerung bei der Mitgestaltung politischer Entscheidungen benachteiligt wird! Dabei sind 51 Prozent der Wahlberechtigten Frauen. Im März 2014 hat sich in Bayern das Aktionsbündnis „Parité in den Parlamenten“ gegründet, das paritätisch besetzte Wahllisten und Wahlkreise für EU, Bund, Land und Kommunen fordert. Ziel ist es, durch eine paritätische Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten, ein gerechtes Geschlechterverhältnis in den Parlamenten zu erreichen. Der Bayerische Landesfrauenrat ist Kooperationspartner des Aktionsbündnisses, das am 30. November 2016 eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht hat. Wir wollen es wissen!: Kommt der Staat seinem verfassungsgemäßen Auftrag in Art. 118 Abs. 2 Bayerische Verfassung nach und sorgt dafür, dass er die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt? Nach unserer Auffassung ist die von der Bayerischen Verfassung gebotene "Durchsetzung der Gleichberechtigung" derzeit nicht gegeben, ohne die Parteien und Wählervereinigungen gesetzlich zu verpflichten, ihre Kandidatenlisten paritätisch aufzustellen. Sowohl das Grundgesetz als auch die Bayerische Verfassung fordern nämlich „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ und „die Beseitigung bestehender Nachteile“ durch den Staat.
Wann erwarten Sie ein Ergebnis der Popularklage, was ist die Konsequenz, wenn sie erfolgreich ist und was, wenn sie scheitert?
Hildegund Rüger: Wir erwarten mit Spannung, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof, hoffentlich zügig, entscheiden wird. An ein Scheitern denken wir nicht, gedanklich gehen wir diese Sache so nicht an! Alles Weitere wird sich zeigen.
Wie kann man Ihrer Meinung nach gerade junge Frauen für politische Ämter begeistern und sie motivieren, sich einzumischen und politische Rahmenbedingungen mitzugestalten?
Hildegund Rüger: Folgende Hauptgründe für diese Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik sind offensichtlich: Frauen haben kaum Interesse an der Politik, da erstens die Formen politischer Arbeit noch immer männlich geprägt sind; zweitens die aktuellen politischen Karrieremuster den Aufstieg für Frauen erschweren und drittens die Politikerinnen in den Medien leider immer noch marginalisiert und trivialisiert werden. Rita Süssmuth äußerte einmal: „Obwohl Frauen die Mehrheit der Bevölkerung bilden, verharren sie in einem Minderheitenstatus. Im Parlament machen sie sich aus wie einige bunte Tupfer in einer blaugrauen Anzugswelt“.
Wenn Politik keine Männerdomäne bleiben soll, so muss die Geschlechtergleichheit als wichtigste Aufgabe in die politische Arbeit mit aufgenommen werden. Insbesondere die Parteien sind aufgefordert, Frauen nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes zu umwerben, sondern ihren Lebenslagen und Interessen in der politischen Praxis permanent Rechnung zu tragen. Die Motivation und Begeisterung der Frauen für die Politik wird die natürliche Folge sein.
Wir müssen nun alle Hebel in Bewegung setzen, um das riesige Potential der Frauen in der Politik den Parteien aufzuzeigen.
Welche bedeutenden Veränderungen wurden durch das Mitwirken des Landesfrauenrats zu Gunsten der Frauen in Bayern erreicht?
Hildegund Rüger: Der Bayerische Landesfrauenrat begleitet bereits seit über 40 Jahren die Frauen in Bayern auf ihrem Weg zu Chancengleichheit und vollständiger Gleichberechtigung. Als überkonfessionelles, überparteiliches und unabhängiges Gremium trägt er seit 1973 zur Verbesserung der Situation der Frauen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bei. Er fördert dabei die Zusammenarbeit der in Bayern tätigen Frauenverbände und der Frauengruppen gemischter Verbände. Aus anfangs 30 Mitgliedsverbänden sind heute 48 Mitgliedsverbände geworden, in denen knapp vier Millionen organisierte Frauen vertreten sind.Trotz verschiedenster Interessen spricht der Bayerische Landesfrauenrat mit einheitlicher Stimme für die Frauen in Bayern. Aktuell beschäftigt sich der Bayerische Landesfrauenrat unter anderem mit den Themen: Frauen als pflegende Angehörige, Geschlechterbildung und Genderperspektiven im Care Bereich, Arbeit 4.0 – Auswirkungen auf das Familienleben und Arbeitsleben sowie „Wer erklärt wie unsere Gesellschaft und mit welchen Medien?“ Das Jahresmotto des Bayerischen Landesfrauenrates 2017 lautet: „Was Frauen wollen – MEHR!“
Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, dass die Frauen wissen, was sie wollen, aber es geht noch besser, wenn die „Wunschliste“ nicht noch so lange wäre.
Die Ziele des Internationalen Frauentags sind weltumspannend, in wieweit ist der Bayerische Landesfrauenrat in das nationale und internationale Netzwerk eingebunden?
Hildegund Rüger: Mit unserem regelmäßigen Newsletter, Internet- und Facebook-Auftritt, aber auch in öffentlichen Veranstaltungen, wie unsere Reihe „Quer gedacht“, machen wir Politik und Öffentlichkeit auf frauenpolitische Anliegen aller Couleur aufmerksam.
Um unsere Ziele zu verwirklichen, engagieren wir uns in verschiedenen Gremien, zum Beispiel am Runden Tisch „Bürgerschaftliches Engagement“, im Landesplanungsbeirat, in der Steuerungsgruppe des Forum Soziales Bayern, am Aktionsbündnis Equal Pay Day, im Beirat der Bayernwerk AG und im Bayerischen Rat der Europäischen Bewegung – um nur einige zu nennen. Darüber hinaus führen wir regelmäßige Spitzengespräche mit Partnern des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Auf Bundesebene engagieren wir uns im Deutschen Frauenrat sowie auf der Konferenz der Landesfrauenräte.
Erwähnenswert ist selbstverständlich auch, dass der Bayerische Landesfrauenrat seine Empfehlungen an Organe der Legislative und Exekutive in allen Fragen, die die gesellschaftliche Situation der Frau betreffen, abgibt. Daneben beraten wir insbesondere auch die Frauenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung. In all meinen Reden und Vorträgen weise ich darauf hin, dass – nach der Weltstatistik – Frauen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bilden, dass sie zwei Drittel aller Arbeitsstunden leisten, dass sie nur 10 Prozent des Welteinkommens erhalten und dabei weniger als ein Prozent des Welteigentums besitzen. Diese Missstände auf internationalem Niveau zeige ich immer wieder auf.
Die Vereinten Nationen haben den Internationalen Frauentag 2017 unter das Motto: »Women in the Changing World of Work: Planet 50-50 by 2030« gestellt. In Deutschland wurde es auf den Leitspruch »Wir verändern!« verkürzt. Ist es realistisch, bis 2030 eine weltweite Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen, gerade vor dem Hintergrund der Diskriminierung von Frauen und Mädchen in vom Islam dominierten Ländern?
Hildegund Rüger: Wir würden uns nichts mehr als das wünschen. Die Tatsachen sprechen aber leider eine andere Sprache. Der Weg bis zur Gleichstellung von Männern und Frauen ist lang – und er wird leider immer länger, wie aus dem Gender Gap Report 2016 hervorgeht, den das Weltwirtschaftsforum veröffentlicht hat. Bei dem derzeitigen Tempo wird es noch 170 Jahre dauern, bis Frauen und Männer dieselben Chancen erhalten. Im Jahr 2015 lag die Schätzung der Experten noch bei 118 Jahren. Ich baue und hoffe darauf, dass die Gleichberechtigung schneller voranschreitet, wenn sich mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen in Wirtschaft und Politik, auf nationaler und internationaler Ebene, befinden. Erst wenn wir Frauen an allen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Belangen zu 50 Prozent beteiligt sind, können wir aufatmen! Deshalb ist Gleichstellungs- und Frauenpolitik, unabhängig von Konfessionen, auch in Zukunft unerlässlich!
Viele Bürger, auch Frauen, wissen mit dem Datum 8. März nichts anzufangen. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Bedeutung des internationalen Frauentags so wenig öffentliches Interesse erzeugt?
Hildegund Rüger: Wir sind beim 106. Geburtstag des Internationalen Frauentages angelangt. 106mal wurde schon auf die Ungleichstellung der Geschlechter weltweit hingewiesen. Es hat den Anschein, dass nach 106 Jahren schon alles gesagt wurde und deshalb dieser Tag leider nicht mehr im Fokus des öffentlichen Interesses ist. Ich gebe mich jedoch kämpferisch und schließe mit den Worten von Viviane Reding, der ehemaligen Vizepräsidentin der Europäischen Kommission: „Solange wir einen Frauentag feiern müssen, bedeutet das, dass wir keine Gleichberechtigung haben. Das Ziel ist die Gleichberechtigung, damit wir solche Tage nicht mehr brauchen.“
Einige Hintergrundinformationen zum Internationalen Frauentag auf der Autorenplattform Pagewizz hier zusammengefasst.
Hildegund Rüger: Die Studie „Was junge Frauen wollen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2016 brachte es zu Tage! Nur zehn Prozent der Frauen im Alter bis 40 Jahren sind der Meinung, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland voll und ganz realisiert ist – und auch nur 15 Prozent der Männer vertreten diese Auffassung. Insofern sind sich Frauen und Männer darüber einig, dass die tatsächliche Gleichstellung noch nicht Realität ist. Frauen und Männer der jungen Generation begreifen Gleichstellung nicht als Kampf gegeneinander, sondern als eine gemeinsame „Baustelle“. Diese Sichtweise der Frauen und Männer heute bedeutet, dass Gleichstellungsdefizite den Zusammenhalt gefährden und dass Ungleichstellung befördernde Fehlanreize und Rahmenbedingungen gesellschaftliche Bruchstellen verursachen. Bei Frauen der jüngeren Generationen aller Schichten sind unter anderem folgende familien- und gleichstellungspolitische Themen angekommen und bestimmen ihren Blick auf ihre eigene Lebenslage, auf die Gesellschaft und ihre Forderungen an die Politik:
» Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist groß, ungerecht und muss unbedingt und rasch beseitigt werden.
» In einer Partnerschaft und nach der Familiengründung praktizieren junge Frauen traditionelle Geschlechterrollen. Obwohl sie dies eigentlich nicht wollen, ist es heute aus
finanziellen Gründen sinnvoll und vernünftig, so zu handeln.
» Es gibt zu wenige Frauen in Führungspositionen! Die Mehrheit der jungen Frauen ist überzeugt, dass sich ohne gesetzliche Maßnahmen und Druck (Sanktionen) wenig tun wird.
» Frauen in der Mitte der Gesellschaft verlangen von der Politik und wünschen sich von ihrem Arbeitgeber eine individuelle Flexibilität von Arbeitszeit, täglichem Arbeitspensum und Arbeitsort: Das Ergebnis muss stimmen.
» Bei jungen Frauen mit relativ hohem Einkommen ist die Frage ihrer späteren Rente sehr präsent. Insofern wollen sie auf ihre Erwerbstätigkeit nicht verzichten. Hingegen denken Frauen mit geringerem Einkommen weniger über ihre Rente nach. Dafür gibt es einen triftigen Grund: Sie sind aktuell so sehr mit der Finanzierung ihres wöchentlichen und monatlichen Lebensunterhalts beschäftigt, dass sie sich keine Gedanken machen
können, was später kommt.
Auf die Stimme dieser Frauen gilt es nun zu hören und effektiv an die Arbeit zu gehen. Diese „Baustellen“ dürfen nicht die Dimensionen wie die des Berliner Flughafens
annehmen.
Teilen Sie die Meinung vieler Frauenrechtlerinnen, dass ein Rückschritt in der Gleichstellungspolitik, ein so genannter Backlash, zu beobachten ist?
Hildegund Rüger: Ja, es gibt Rückschläge zu verzeichnen, da ein Generationswechsel stattgefunden hat. Feminismus hat unter der jungen Generation einen schlechten Ruf, gilt als hausbacken und „uncool“. Andererseits sehen viele junge Frauen eine Gleichberechtigung der Geschlechter noch keineswegs verwirklicht, wie uns die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aufzeigt. Die jungen Feministinnen arbeiten vor allem mit dem Internet und somit zielorientiert. Der Aktionismus findet also nicht mehr auf der Straße statt, ist nicht mehr laut und plakativ – ich denke an die Aktion „Mein Bauch gehört mir“ –, sondern von einer gewissen Subtilität und Fachkenntnis geprägt.
Der Bayerische Landesfrauenrat beteiligt sich an dem Aktionsbündnis »Parité in den Parlamenten«, das Ende November 2016 eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht hat. Was ist der Hintergrund?
Hildegund Rüger: In den Parlamenten sind wir Frauen nicht gleichberechtigt vertreten. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Hälfte der Bevölkerung bei der Mitgestaltung politischer Entscheidungen benachteiligt wird! Dabei sind 51 Prozent der Wahlberechtigten Frauen. Im März 2014 hat sich in Bayern das Aktionsbündnis „Parité in den Parlamenten“ gegründet, das paritätisch besetzte Wahllisten und Wahlkreise für EU, Bund, Land und Kommunen fordert. Ziel ist es, durch eine paritätische Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten, ein gerechtes Geschlechterverhältnis in den Parlamenten zu erreichen. Der Bayerische Landesfrauenrat ist Kooperationspartner des Aktionsbündnisses, das am 30. November 2016 eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht hat. Wir wollen es wissen!: Kommt der Staat seinem verfassungsgemäßen Auftrag in Art. 118 Abs. 2 Bayerische Verfassung nach und sorgt dafür, dass er die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt? Nach unserer Auffassung ist die von der Bayerischen Verfassung gebotene "Durchsetzung der Gleichberechtigung" derzeit nicht gegeben, ohne die Parteien und Wählervereinigungen gesetzlich zu verpflichten, ihre Kandidatenlisten paritätisch aufzustellen. Sowohl das Grundgesetz als auch die Bayerische Verfassung fordern nämlich „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ und „die Beseitigung bestehender Nachteile“ durch den Staat.
Wann erwarten Sie ein Ergebnis der Popularklage, was ist die Konsequenz, wenn sie erfolgreich ist und was, wenn sie scheitert?
Hildegund Rüger: Wir erwarten mit Spannung, wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof, hoffentlich zügig, entscheiden wird. An ein Scheitern denken wir nicht, gedanklich gehen wir diese Sache so nicht an! Alles Weitere wird sich zeigen.
Wie kann man Ihrer Meinung nach gerade junge Frauen für politische Ämter begeistern und sie motivieren, sich einzumischen und politische Rahmenbedingungen mitzugestalten?
Hildegund Rüger: Folgende Hauptgründe für diese Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik sind offensichtlich: Frauen haben kaum Interesse an der Politik, da erstens die Formen politischer Arbeit noch immer männlich geprägt sind; zweitens die aktuellen politischen Karrieremuster den Aufstieg für Frauen erschweren und drittens die Politikerinnen in den Medien leider immer noch marginalisiert und trivialisiert werden. Rita Süssmuth äußerte einmal: „Obwohl Frauen die Mehrheit der Bevölkerung bilden, verharren sie in einem Minderheitenstatus. Im Parlament machen sie sich aus wie einige bunte Tupfer in einer blaugrauen Anzugswelt“.
Wenn Politik keine Männerdomäne bleiben soll, so muss die Geschlechtergleichheit als wichtigste Aufgabe in die politische Arbeit mit aufgenommen werden. Insbesondere die Parteien sind aufgefordert, Frauen nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes zu umwerben, sondern ihren Lebenslagen und Interessen in der politischen Praxis permanent Rechnung zu tragen. Die Motivation und Begeisterung der Frauen für die Politik wird die natürliche Folge sein.
Wir müssen nun alle Hebel in Bewegung setzen, um das riesige Potential der Frauen in der Politik den Parteien aufzuzeigen.
Welche bedeutenden Veränderungen wurden durch das Mitwirken des Landesfrauenrats zu Gunsten der Frauen in Bayern erreicht?
Hildegund Rüger: Der Bayerische Landesfrauenrat begleitet bereits seit über 40 Jahren die Frauen in Bayern auf ihrem Weg zu Chancengleichheit und vollständiger Gleichberechtigung. Als überkonfessionelles, überparteiliches und unabhängiges Gremium trägt er seit 1973 zur Verbesserung der Situation der Frauen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bei. Er fördert dabei die Zusammenarbeit der in Bayern tätigen Frauenverbände und der Frauengruppen gemischter Verbände. Aus anfangs 30 Mitgliedsverbänden sind heute 48 Mitgliedsverbände geworden, in denen knapp vier Millionen organisierte Frauen vertreten sind.Trotz verschiedenster Interessen spricht der Bayerische Landesfrauenrat mit einheitlicher Stimme für die Frauen in Bayern. Aktuell beschäftigt sich der Bayerische Landesfrauenrat unter anderem mit den Themen: Frauen als pflegende Angehörige, Geschlechterbildung und Genderperspektiven im Care Bereich, Arbeit 4.0 – Auswirkungen auf das Familienleben und Arbeitsleben sowie „Wer erklärt wie unsere Gesellschaft und mit welchen Medien?“ Das Jahresmotto des Bayerischen Landesfrauenrates 2017 lautet: „Was Frauen wollen – MEHR!“
Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, dass die Frauen wissen, was sie wollen, aber es geht noch besser, wenn die „Wunschliste“ nicht noch so lange wäre.
Die Ziele des Internationalen Frauentags sind weltumspannend, in wieweit ist der Bayerische Landesfrauenrat in das nationale und internationale Netzwerk eingebunden?
Hildegund Rüger: Mit unserem regelmäßigen Newsletter, Internet- und Facebook-Auftritt, aber auch in öffentlichen Veranstaltungen, wie unsere Reihe „Quer gedacht“, machen wir Politik und Öffentlichkeit auf frauenpolitische Anliegen aller Couleur aufmerksam.
Um unsere Ziele zu verwirklichen, engagieren wir uns in verschiedenen Gremien, zum Beispiel am Runden Tisch „Bürgerschaftliches Engagement“, im Landesplanungsbeirat, in der Steuerungsgruppe des Forum Soziales Bayern, am Aktionsbündnis Equal Pay Day, im Beirat der Bayernwerk AG und im Bayerischen Rat der Europäischen Bewegung – um nur einige zu nennen. Darüber hinaus führen wir regelmäßige Spitzengespräche mit Partnern des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Auf Bundesebene engagieren wir uns im Deutschen Frauenrat sowie auf der Konferenz der Landesfrauenräte.
Erwähnenswert ist selbstverständlich auch, dass der Bayerische Landesfrauenrat seine Empfehlungen an Organe der Legislative und Exekutive in allen Fragen, die die gesellschaftliche Situation der Frau betreffen, abgibt. Daneben beraten wir insbesondere auch die Frauenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung. In all meinen Reden und Vorträgen weise ich darauf hin, dass – nach der Weltstatistik – Frauen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bilden, dass sie zwei Drittel aller Arbeitsstunden leisten, dass sie nur 10 Prozent des Welteinkommens erhalten und dabei weniger als ein Prozent des Welteigentums besitzen. Diese Missstände auf internationalem Niveau zeige ich immer wieder auf.
Die Vereinten Nationen haben den Internationalen Frauentag 2017 unter das Motto: »Women in the Changing World of Work: Planet 50-50 by 2030« gestellt. In Deutschland wurde es auf den Leitspruch »Wir verändern!« verkürzt. Ist es realistisch, bis 2030 eine weltweite Gleichstellung von Mann und Frau zu erreichen, gerade vor dem Hintergrund der Diskriminierung von Frauen und Mädchen in vom Islam dominierten Ländern?
Hildegund Rüger: Wir würden uns nichts mehr als das wünschen. Die Tatsachen sprechen aber leider eine andere Sprache. Der Weg bis zur Gleichstellung von Männern und Frauen ist lang – und er wird leider immer länger, wie aus dem Gender Gap Report 2016 hervorgeht, den das Weltwirtschaftsforum veröffentlicht hat. Bei dem derzeitigen Tempo wird es noch 170 Jahre dauern, bis Frauen und Männer dieselben Chancen erhalten. Im Jahr 2015 lag die Schätzung der Experten noch bei 118 Jahren. Ich baue und hoffe darauf, dass die Gleichberechtigung schneller voranschreitet, wenn sich mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen in Wirtschaft und Politik, auf nationaler und internationaler Ebene, befinden. Erst wenn wir Frauen an allen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Belangen zu 50 Prozent beteiligt sind, können wir aufatmen! Deshalb ist Gleichstellungs- und Frauenpolitik, unabhängig von Konfessionen, auch in Zukunft unerlässlich!
Viele Bürger, auch Frauen, wissen mit dem Datum 8. März nichts anzufangen. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die Bedeutung des internationalen Frauentags so wenig öffentliches Interesse erzeugt?
Hildegund Rüger: Wir sind beim 106. Geburtstag des Internationalen Frauentages angelangt. 106mal wurde schon auf die Ungleichstellung der Geschlechter weltweit hingewiesen. Es hat den Anschein, dass nach 106 Jahren schon alles gesagt wurde und deshalb dieser Tag leider nicht mehr im Fokus des öffentlichen Interesses ist. Ich gebe mich jedoch kämpferisch und schließe mit den Worten von Viviane Reding, der ehemaligen Vizepräsidentin der Europäischen Kommission: „Solange wir einen Frauentag feiern müssen, bedeutet das, dass wir keine Gleichberechtigung haben. Das Ziel ist die Gleichberechtigung, damit wir solche Tage nicht mehr brauchen.“
Hildegund Rüger, seit 2005 Präsidentin des Bayerischen Landesfrauenrats. Foto: privat |
Was ist der Bayerische Landesfrauenrat?
Insgesamt 49 Frauenverbände – und Frauengruppen sind unter dem Dach des Bayerischen Landesfrauenrats zusammengefasst, der rund 4 Millionen Frauen in Bayern vertritt. Er ist überkonfessionell, überparteilich und unabhängig und wird vom Bayerischen Sozialministerium gefördert. Vorrangiges Ziel des Landesfrauenrats ist die Verbesserung der Situation der Frauen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Öffentlichkeitsarbeit zu Fragen der Gleichstellung, Stellungnahmen und Empfehlungen an Organe der Legislative und Exekutive prägen die Arbeit des Landesfrauenrats, um die Interessen der Frauen in Politik und Gesellschaft zu vertreten. Auch die Beratung der Frauenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung zählt zur Arbeit des Landesfrauenrats.Einige Hintergrundinformationen zum Internationalen Frauentag auf der Autorenplattform Pagewizz hier zusammengefasst.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen